Jan Schlaudraff – Vom VfB Wissen bis in die Nationalelf (RZ-Bericht)

WISSEN. Wovon kleine Jungen meist nur träumen, ist für Jan Schlaudraff Wirklichkeit geworden. Für den Pfarrerssohn wurde das Märchen vom Nationalspieler tatsächlich wahr. Das Talent war zweifelsohne schon früh erkennbar.

Viel Zeit, sich Gedanken über seinen rasanten Aufstieg zu machen, hatte Jan Schlaudraff in den zurückliegenden Wochen und Monaten kaum. Doch wenn der Jung- Nationalspieler manchmal an seine Anfänge in Eichelhardt und Wissen zurückdenkt, ist sich der 23-Jährige seiner großartigen Karriere durchaus bewusst. „Dass es so schnell gehen würde, damit habe ich nicht gerechnet. Zum Schluss ist es immer schneller gegangen, und die Schritte sind immer größer geworden.” Und ein Ende ist noch nicht abzusehen. Angefangen hatte alles in Eichelhardt, wo der jüngste von drei Brüdern seine Geschwister Sven und Nils immer zum Fußballtraining begleitete. „Da ist er mit der Windel rumgelaufen und hat schon damals die Größeren durcheinander gewirbelt”, erinnert sich Wolfgang Hörter, damals sein erster Trainer in Eichelhardt und heutiger Vorsitzender der SG Bruchertseifen-Eichelhardt. „Und wenn die Windel voll war, wurde die schnell gewechselt, und dann ging es weiter.”

So weit, dass Jan Schlaudraff heute als eines der größten Sturmtalente Deutschlands gilt. In der Bundesliga stand der Sohn eines Pfarrers und einer Lehrerin mit Alemannia Aachen am vergangenen Freitag nach dem 3:1 beim FSV Mainz kurzzeitig an der Tabellenspitze. Mit vier Treffern liegt er gemeinsam mit fünf weiteren Spielern an der Spitze der Torjägerliste, mit sechs Scorerpunkten hinter Diego (10) und Gomez (7) auf Rang drei. Zudem wurde er im September von den Fans zum Spieler des Monats gewählt. Zur Krönung nominierte ihn Bundestrainer Joachim Löw für die Nationalmannschaft, in der er gegen Georgien sein Debüt als Einwechselspieler gab. „Ich bin super empfangen worden, und ich habe Erfahrungen gemacht, die mir keiner mehr nehmen kann”, sagt Schlaudraff sachlich und zurückhaltend.

„Ich hätte ihm nie zugetraut, dass er so weit kommt, weil er körperlich zu schwach war”, sagt Gereon Detmer, der nach Schlaudraffs Wechsel zum VfB Wissen sein bester Freund war. „Jan war der erste, den ich kennengelernt habe, wir waren zusammen in einer Klasse. Und er hat mich auch zum Fußball gebracht”, berichtet Detmer, der bis vor zwei Jahren selbst noch beim VfB Wissen gespielt hat und heute an der Sporthochschule in Köln studiert. „Hausaufgaben haben ihn nie so interessiert, statt dessen haben wir nach der Schule oft zusammen gebolzt.” Daran erinnert sich auch Reiner Düngen. Der frühere Jugendleiter des SV Niedererbach hatte den kleinen Kicker in Eichelhardt oft beobachtet, wenn der auf der Straße Fußball gespielt hatte. Als der junge Schlaudraff zum ersten Mal beim F-Jugend-Training bei ihm auftauchte, staunte Düngen nicht schlecht. „Als ich ihn Bälle holen schickte, kam er mit den Bällen im Schlepptau zurück und hielt dabei einen Ball mit den Füßen hoch, da war er gerade sechs Jahre alt.” Dieser Auftritt hatte Eindruck hinterlassen.

Auch Gregor Hombach, seinem Trainer beim VfB Wissen, ist Schlaudraff noch im Gedächtnis. „Er war immer der Kleinste, aber fußballerisch ein Naturtalent.” In der F-Jugend erzielte er bereits 50 Saisontore, 1990/91 stellte er mit 61 Treffern in 16 Spielen die Kreismeisterschaft des VfB fast im Alleingang sicher. „Es freut mich, dass er es jetzt so weit gebracht hat”, sagt Hombach, der den Werdegang von Jan Schlaudraff nach dessen Weggang nach Bingen immer verfolgt hat. Weil seine Mutter beruflich nach Bingen übersiedelte, spielte er ab 1996 bei Hassia Bingen. 2002 wechselte der damals 19-Jährige zu Borussia Mönchengladbach, wo er seine ersten Bundesligaspiele bestritt. Von Verletzungen zurückgeworfen wechselte das Leichtgewicht mit Spitznamen „Knochen” (67 kg bei 1,80 m Körpergröße) 2004 zu Alemannia Aachen, wo er seine Karriere in rasantem Tempo fortsetzte.

Nach dem Aufstieg in der vergangenen Saison überschlugen sich dann zuletzt die Ereignisse. Doch sein Freund Detmer weiß: „Jan hat sich nicht verändert. Nach außen ist er professionell, aber privat ist er locker, und man kann viel Spaß mit ihm haben.” Nur wenn es um seinen Sport geht, ist Jan Schlaudraff ehrgeizig wie eh und je, und so formuliert er selbstbewusst: „Ich bin noch nicht da, wo ich hin möchte, im Moment läuft es sehr gut, aber ich arbeite weiter, alles andere kommt von selbst.” Und das wird der Bundestrainer sicher gerne hören, weitere Einsätze in der DFB-Auswahl dürften folgen.

Text: Oliver Treptow / Rhein-Zeitung vom 21.Oktober 2006
Foto: Gregor Hombach (auf dem Bild ist Jan Schlaudraff in der vorderen Reihe ganz rechts zu sehen)