
Nachdem der Bericht über das Pokalspiel gegen Gladbach mit hohen Zugriffszahlen auf der Webseite und viel Resonanz auf Facebook in der vergangenen Woche enorme Aufmerksamkeit erzielt hat, nutzen wir auch dieses (wieder mal spielfreie) Wochenende für einen Blick in die Chronik. Diesmal geht es in die 90er Jahre, zum dramatischen Finale um die Rheinlandmeisterschaft gegen den direkten Konkurrenten SV Leiwen. 3.200 Zuschauer waren am Abend des 17.Mai 1991 dabei, und viele dürften am Rande des Herzkaspers gestanden haben – nicht zuletzt wegen des unglücklichen Scheiterns des VfB in den beiden Vorjahren. Am Ende stand ein Happy End und (Foto oben) Armin Bohn, Mike Schmidt und Scott Burnside konnten sich mit dem Meisterpokal ablichten lassen.
Das entscheidende Ereignis für den Erfolg fiel in den November 1989, denn mit der Öffnung der innerdeutschen Grenze bot sich für viele DDR-Fußballer die Möglichkeit, ihr Glück im Westen zu versuchen. Sechs von Ihnen, allesamt mit Erfahrung in der ersten (Steffen Herms / Chemie Halle) oder zweiten Liga der DDR, kamen zum VfB Wissen und hoben das sportliche Niveau des ohnehin top besetzten Kaders noch einmal erheblich. Das Foto oben zeigt die Neuzugänge zu Beginn der Saison 1990-91. Sitzend von links Jörg Schmidt, Karsten Hanas und Maik Rumpel, stehend Hennes Gebauer, Heiko Bedranowsky und Steffen Herms. Mit Peter Kohl (in der hinteren Reihe ganz links) übernahm gleichzeitig der ehemalige Trainer der DDR-Olympiaauswahl das Traineramt von Günter Oettgen.
Der 34. und letzte Spieltag brachte den totalen Showdown, denn als Tabellenführer empfing der VfB (53:13 Punkte) seinen einzigen verbliebenen Verfolger und alten Rivalen SV Leiwen (52:14 Punkte). Dabei hatte es zwischenzeitlich nach den langfristigen verletzungsbedingten Ausfällen einiger Leistungsträger (Olli Ackermann, Michael Roos, Uwe Hauschild, Günter Krah, Steffen Herms) nicht nach einer Titelchance ausgesehen. Dank eines Pünktchens Vorsprung reichte nun aber bereits ein Unentschieden. Am Ende wurde es an einem unvergesslichen Abend vor der tollen Kulisse sogar ein 2:1-Sieg. Nachstehend die damalige Vorschau und der Spielbericht aus der Rhein-Zeitung, beide verfasst von Michael Au. Die Schwarz-Weiß-Fotos stammen von Manfred Böhmer. Viel Spass bei der Reise in die Vergangenheit !
Vorschau (Rhein-Zeitung 17.5.1991)
Meisterschafts-Entscheidung in der Fußball-Verbandsliga:
Wissen reicht gegen Leiwen Unentschieden zum Aufstieg
Mit Zuversicht und einer gehörigen Portion (Aber)-Glauben sieht Peter Kohl, Trainer des F ußball-Verbandsligisten VfB Wissen, dem heutigen Spiel seiner Mannschaft gegen den SV Leiwen entgegen. „In entscheidenden Phasen habe ich noch nie eine böse Überraschung erlebt. Ich kenne das gar nicht.“ sagt er über sich selbst. Im Hinblick auf den VfB Wissen, den er seit dieser Saison trainiert, kommt ihm ein altbekanntes Sprichwort in den Sinn: „Aller guten Dinge sind drei.“
Die hochkarätig besetzte VfB-Bank: Betreuer Friedel Steinhauer, der angeschlagen fehlende Steffen Herms, Wolfgang Kohl, Ersatzkeeper Heinz Bauer, Hennes Gebauer und Albert Hilger.
In den vergangenen beiden Jahren ist der Traditionsclub von der Sieg jeweils im letzten Spiel gescheitert. In der Saison 88/89 stieg er wegen des schlechteren Torverhältnisses aus der Oberliga ab, weil er zu Hause im letzten Spiel gegen den SV Leiwen beim 3:3 einen Punkt abgab. In der vergangenen Spielzeit hatte der VfB alle Chancen auf den direkten Wiederaufstieg, verlor aber dann im Dr.Grosse-Siegstadion das zweite und letzte Entscheidungsspiel gegen die Sportfreunde Eisbachtal mit 1:2.
Linksfuß Karsten Hanas erzielte nicht nur den Siegtreffer gegen Leiwen, sondern war auch der erfolgreichste Torschütze seines Teams in der gesamten Saison 90/91
Kohl kennt diese Bilanz nur zu gut, hält ihr aber die Überzeugung entgegen, daß die Mannschaft, die heute Abend auflaufen wird, nicht mit der des Vorjahres vergleichbar sei. Nach Kohls Einschätzung sind die Spieler „hochkarätig motiviert”, aber nicht nervös. Der VfB werde nicht den Fehler machen und auf ein Unentschieden, das ja bereits zum Gewinn der Meisterschaft reichen würde, spielen. Kohl: „Von der taktischen Grundkonzeption her spielen wir auf Sieg. Auf ein Unentschieden spielen können wir gar nicht.“
Foto oben: Michael Ferfort scheiterte in dieser Szene an Gästekeeper Klas, der zwar angeschlagen ind Spiel ging, seiner Mannschaft aber mit einer überragenden Leistung lange die Führung rettete.
Aufpassen müsse sein Team, das es nicht in einen Leiwener Konter laufe. Der SV sei sehr spielstark. „Die können sehr unterkühlt spielen und auf eine Chance warten“, urteilt der Wissener Coach, der eine solche Haltung der Gäste heute Abend erwartet. Das war bereits im klar dominierten, aber letztlich torlos endenden Hinspiel in Leiwen der Fall.
Foto oben: Josef Geisler kennt die Richtung – es geht nach oben. Rechts im Hintergrund Armin Bohn und Heiko Bedranowsky
Von seinen Spielern erwartet er eine betont kämpferische Einstellung. Sein Ideal: „Die Mannschaft muß so auftreten wie im Pokalspiel gegen Hamm.“ Von der personellen Seite her wird es beim Tabellenführer wohl keine Überraschungen. geben. Es ist damit zu rechnen, daß die gleiche Elf wie gegen Andernach und Weißenthurm auflaufen wird. Auf der Bank werden höchstwahrscheinlich die Routiniers Heinz Bauer, Albert Hilger, Wolfgang Kohl, Hans-Jürgen Gebauer und Steffen Herms sitzen.
Foto oben: Wolfgang Schneider war nur zwei Spielzeiten für den VfB aktiv und wechselte im Sommer 91 nach Wirges. Gegen Leiwen machte er eines seiner stärksten Spiele im Wissener Trikot.
Zur Ausgangslage vor dem heutigen Spiel: Die Meisterschaft wird in jedem Falle heute Abend entschieden. Dem Tabellenführer VfB Wissen (53:13) reicht bereits ein Unentschieden, um in die Amateur-Oberliga Südwest aufzusteigen. Der Tabellenzweite SV Leiwen, der einen Zähler weniger auf seinem Konto hat, muß hingegen unbedingt gewinnen, will er sein Saisonziel realisieren.
Foto oben: In seinen vier Jahren im Dr.Grosse-Siegstadion bestritt Günter Zils gut 80 Pflichtspiele für den VfB.
Was von vielen zu Saisonbeginn erwartet wurde, hat sich damit bestätigt. Der Oberliga-Absteiger des Vorjahres, der SV Leiwen, und der Verbandsliga-Vize-Meister des Vorjahres, der VfB Wissen, kämpfen’ am letzten Spieltag um die Rückkehr ins Amateur-Oberhaus. Timing nennt man das – doch danach sah es lange Zeit nicht aus. Der SV Leiwen war vom 3. bis zum 26. Spieltag, zeltweise sogar mit fünf Punkten Vorsprung, Spitzenreiter.
Foto oben: Die beiden Torschützen gegen Leiwen auf einen Blick. Vorne Karsten Hanas, hinten rechts Jörg Schmidt, der in der Schlußminute zum 2:1 traf.
Erst nach Ostern begann das Kopf-an-Kopf-Bennen an der Tabellenspitze zwischen dem Kohl-Team und dem Club von der Mosel, nachdem der Elf aus Leiwen trotz (oder wegen) des Trainerwechsels etwas die Luft ausgegangen war. Der VfB, in dieser Phase personell zum Teil arg gebeutelt, bewies Stehvermögen. Und auch, daß die Bank gar nicht so schlecht besetzt ist, wie von vielen befürchtet worden war.
Foto oben: Josef Geisler und (verdeckt) Wolfgang Schneider.
Heute kann der VfB wieder aus dem vollen schöpfen, kann seine „Oberliga-Tauglichkeit“ — soweit daran noch Zweifel bestehen sollten – unter Beweis stellen, kann die Pechsträhne der vergangenen beiden Jahre mit einem Schlag vergessen lassen. Die Nervenbelastung ist hoch — aber nicht minder groß beim SV Leiwen. Der „muß“ gewinnen, der VfB „darf nicht“ verlieren – ein Plus, das diesmal im Gegensatz zum Oberliga-Saison-Finale vor fast genau zwei Jahren für den VfB spricht.
Spielbericht (Rhein-Zeitung, 18.Mai 1991)
Es ist vollbracht: Nach dramatischen Minuten 2:1 -Sieg gegen SV Leiwen
Der VfB Wissen ist Rheinlandmeister und steigt in die Oberliga auf
Foto oben: Leiwens Torwart Rüdiger Klas im Luftkampf mit Michael Ferfort. Für “Ferfi” war die Partie gegen Leiwen bereits der 337.Punktspieleinsatz in der ersten Mannschaft seit 1980. Weitere 311 sollten bis 2004 noch folgen ! Das erste Spiel mit 18, das letzte mit 42 – eine einzigartige Bilanz. Und in der 2.Mannschaft ist der jüngste Einsatz erst 11 Monate her.
Der VfB Wissen hat’s geschafft. Gestern abend bezwang das Team von Trainer Peter Kohl im letzten Saísonspiel den SV Leiwen mit 2:1 und wurde damit Meister in der Verbandsliga Rheinland. An Dramatik war diese Begegnung nicht zu überbieten. Erst in der 72. Minute gelang dem Tabellenführer, der in der 27. Minute durch einen Treffer von Thomas Kolditz in Rückstand ge- raten war, der Ausgleich, der ihn auf die Siegerstraße brachte. Den Siegtreffer erzielte Jörg Schmidt Sekunden vor dem Abpiff von Schiedsrichter Steinborn.
Der Jubel am Ende der 90 packenden Minuten war grenzenlos. Hunderte der rund 3.200 Zuschauer im .Dr. Grosse-Siegstadion feierten mit den Spielern des VfB und dessen Betreuerstab die Rückkehr in die Amateur-Oberliga Südwest. Einer nur stand abseits und blieb selbst in der Stunde des Triumphes sachlich und introvertiert: Meistermacher Peter Kohl. „Wir haben ein spannendes und gutklassiges Endspiel gesehen“, kommentierte er und zollte seinen Schützlingen Anerkennung.„Wir können mit Hochachtung von unserer Mannschaft sprechen, weil sie es geschafft hat, das gesteckte Saisonziel zu erreichen.“
Foto oben: Für Torwart Michael Schmidt war der Titelgewinn der perfekte Abschluß seiner sechs Jahre beim VfB. Er verließ den Club im Sommer 1991 wegen seines berufsbedingten Umzugs in Richtung Köln, half aber 1996 noch einmal aus und kam so auf genau 199 Einsätze.
Der VfB habe das Spiel verdient gewonnen. Ausschlaggebend sei „der nimmermüde Kampfgeist, gepaart mit ordentlichen spielerischen Elementen“ gewesen. Zum Erfolg habe aber auch das „tolle Publikum“ beigetragen, da es Wissen ständig nach vorne gepeitscht habe. Die Spielzeit Revue passieren lassend, meinte Kohl: „Die Mannschaft, die über die ganze Saison ordentlich gespielt und auch gekämpft hat, ist verdient Meister geworden.“
Foto oben: Haufenbildung nach dem Abpfiff, obenauf Michael Ferfort
Lange Zeit sah es gestern Abend nicht danach aus, daß der VfB seinen Ein-Punkte-Vorsprung verteidigen könnte. Zwar begann er sehr druckvoll, aber durch einen schweren Schnitzer von Günter Zils kam Leiwens Sturmspitze Thomas Kolditz in der siebenten Minute an der Strafraumgrenze des VfB zum Schuss, doch Michael Schmidt lenkte das Leder mit einer Faustabwehr zur Ecke. Beiden Seiten war die Nervosität anzumerken. In der 12. Minute hätte Uwe Heinsdorf, Mittelfeldakteur der Moselaner, seine Mannschaft beinahe mit einem sehenswerten Eigentor in Rückstand gebracht, als er in eine von Heiko Bedranwosky scharf nach innen hereingezogene Flanke sprang und aus rund acht Metern den Ball genau an das linke Aluminiumkreuz wuchtete.
Foto oben: Trainer Peter Kohl (links) jubelt, “Deu” Wengler freut sich auch.
Acht Minuten später verstolperte Michael Ferfort aus sieben Meter. Die Siegstädter machten das Spiel, doch die Gäste machten das Tor. 27. Minute: Günter Krah spielt in der Höhe des eigenen Strafraums den Ball fälschlicherweise auf Kolditz, dessen Bewacher Ferfort nicht mehr rechtzeitig eingreifen kann. Mit einem Flachschuß ins rechte untere Eck erzielt er das 0:1. Nach dieser Aktion verstärkten die Gastgeber den Druck, erkämpften sich dadurch einige hochkarätige Torchancen, die aber ungenutzt blieben. Heiko Bedranwosky (31., 32.), Karsten Hanas und Armin Bohn (45.) – ein Tor war ihnen, trotz ihres Einsatzwillens, nicht vergönnt.
Foto oben: Günter Krah gelang der perfekte Abschluß, denn der VfB-Kapitän beendete mit der Meisterschaft seine Karriere.
Wie Sand durch die Finger, so lief dem Tabellenführer nach dem Seitenwechsel die Zeit davon. Die zweiten 45 Minuten boten das gleiche Bild: einen entfesselt stürmenden VfB und einen auf Konterchancen lauernden SV. Mit den verrinnenden Minuten wuchs die Nervosität der Blau-Weißen – sowohl der auf dem Rasen, als auch der auf den Rängen. Nachdem Wolfgang Schneider in der 52. Minute mit einem 20 m-Schuß an Leiwens hervorragendem Schlußmann Rüdiger Klas gescheitert war, Karsten Hanas fünf Minuten später völlig freistehend über den Ball getreten hatte und Jörg Schmidt wiederum fünf Minuten später mit einem Kracher aus 25 m beinahe das rechte Tordreieck aus der Verankerung gerissen hatte, machte sich die Befürchtung breit, daß nicht aller guten Dinge drei sind.
Foto oben: It’s my cup ! Scott Burnside war von 1989 bis 1995 in Wissen, spielte anschließend noch bis 2001 bei TuS Koblenz und ist seither in seiner schottischen Heimatstadt Edinburgh erfolgreich als Geschäftsmann aktiv.
Doch die 72. Minute brachte die Erlösung. Wolfgang Schneider tritt von rechts einen Eckball, Peter Marxen lenkt ab zu Karsten Hanas, der hält, acht Metervor dem Tor stehend, seinen Kopf hin – ein Leiwener Abwehrspieler fälscht ab, und das Leder zappelt im rechten Eck. Leiwens Coach Werner Platz brachte in Stephan Ludwig und Heinz Scholtes zwei offensiv orientierte Spieler, doch konnten die konsterniert wirkenden Gäste das Ruder nicht mehr herumreißen. Die einzige Chance, erneut in Führung zu gehen, vergab Uwe Heinsdorf sechs Minuten vor Schluß mit einem Heber über das Tor. Sekunden vor dem Abpiff machte Jörg Schmidt, der in der zweiten Halbzeit seine Liberoposition an Scott Burnside abgegeben hatte, mit dem 2:1 alles klar. Es durfte gefeiert werden – und das wurde es auch.
Oben: Die Abschlußtabelle der Saison. Von den ersten sechs der damaligen Rangliste ist nur noch der VfB Wissen auf Rheinlandliga-Niveau unterwegs. Der SV Prüm löste sich auf, der SV Wittlich stürzte ab und verlor die Selbstständigkeit, die SG Betzdorf und der VfL Bad Ems sind (wie zwischenzeitlich auch der VfB) in der Kreisliga A gelandet. Der SV Leiwen ist Vorletzter der Bezirksliga West.
Die Statistik zum Spiel:
VfB Wissen: Michael Schmidt – Günter Krah, Michael Ferfort, Jörg Schmidt, Scott Burnside, Armin Bohn, Günter Zils, Karsten Hanas, Heiko Bedranowsky, Jupp Geisler (ab 54. Albert Hilger), Wolfgang Schneider. Trainer: Peter Kohl.
SV Leiwen: Rüdiger Klas – Johannes Scholer, Erich Alt (ab 75. Bernd Thomas), Alfons Ulbrich, Rainer Schulte, Peter Marxen,-Uwe Heinsdorf, Thomas Kolditz, Thomas Raach (ab 75. Stephan Ludwig), Marco Wagner, Edwin Hein. Trainer: Werner Platz.
Torfolge: 0:1 Thomas Kolditz (23.), 1:1 Karsten Hanas (73.), 2:1 Jörg Schmidt (90.).
Schiedsrichter: Bundesliga-Schiedsrichter Edgar Steinborn/ Sinzig. – Zuschauer: 3200.
Das Meisterteam: Hinten von links Jörg Schmidt, Karsten Hanas, Michael Roos, Armin Bohn, Hans-Jürgen Gebauer, Oliver Ackermann, Steffen Herms. In der mittleren Reihe Fußball-Abteilungsleiter Wolfgang Pudlich, Co-Trainer Karl-Heinz Ottersbach, Heiko Bedranowsky, Michael Ferfort, Wolfgang Kohl, Stefan Schlichting, Uwe Hauschild, Maik Rumpel und Mannschaftsbetreuer Friedel Steinhauer. Vorne von links Team-Manager Georg Roezel, Jupp Geisler, Scott Burnside, Heinz Bauer, Trainer Peter Kohl, Michael Schmidt, Günter Zils, Wolfgang Schneider und Günter Krah.