VfB Retro III: 4:2-Finalsieg gegen Plaidt bringt die Rheinlandmeisterschaft 1962

In den beiden ersten Folgen unserer kleinen Serie mit Rückblicken auf große Spiele der VfB-Fußballer ging es in die 80er und 90er Jahre. Diesmal geht der Blick noch ein bißchen weiter zurück ins Jahr 1962. Damals spielte die Rheinlandliga noch in zwei regional getrennten Staffeln, die beiden Staffelmeister trafen sich anschließend auf neutralem Platz zum Endspiel um die Rheinland-Meisterschaft. 1961 war der VfB in diesem Finale nach zwei dramatischen Spielen (3:3 n.V, 2:3 n.V.) noch am SV Ehrang gescheitert, ein Jahr später gelang dann mit dem 4:2 gegen den FC Plaidt der Titelgewinn.

Dabei hatten die “goldenen Jahre” des VfB zwischen 1956 und 1963 eine Vorgeschichte, denn den Grundstein für die Erfolge lieferte die ausgezeichnete Jugendarbeit. Unter dem legendären Jugendleiter Walter Trinkaus (im Foto oben ganz links), der das Amt von 1923 bis 1967 (!) bekleidete, gab es fast jedes Jahr Titelgewinne auf Kreis- und Verbandsebene. Das Bild zeigt die Kreismeister-Schülermannschaft von 1953, in der bereits etliche Spieler der späteren Stammelf vertreten waren.

In der Saison 1956 / 57 gelang mit Spielführer Eugen Anetsmann und dem Kölner Trainer Langen nach vier Jahren Abstinenz der Wiederaufstieg in die Rheinlandliga, 1959 der erste Gewinn des Rheinland-Pokals. Und spätestens, nachdem die Talente aus der A-Jugend 1959 (Foto oben) in den Seniorenkader aufrückten, waren die Voraussetzung für weitere Erfolge einer fast komplett aus “Eigengewächsen” bestehenden Mannschaft gegeben. 1961 gelang das Double aus Pokalsieg und Staffelmeisterschaft, ein Jahr später war man noch erfolgreicher.

Die Mannschaft startete mit unglaublichen 37:3 Punkten in die Saison und war schon Anfang März uneinholbar vorne. Etliche Kantersiege sorgten für Begeisterung. Das nachstehende Bild entstand beim 4:1 gewonnenen Auswärtsspiel auf dem Hartplatz in Elkenroth, wohin der VfB wie bei fast allen Begegnungen von vielen Fans begleitet wurde.

Doch auch im Dr.Grosse-Siegstadion war der Zuspruch der Fußballfreunde enorm. Zu den Heimspielen der Saison 1961/62 kamen insgesamt aus heutiger Sicht schier unfassbare 21.300 Zuschauer, was einen Schnitt von über 1.500 Fans bedeutete. Bei den Derbys waren die Ränge besonders gut gefüllt, wie der Schnappschuß (unten) vom 2:0 gewonnenen Lokalkampf gegen den alten Rivalen Sportfreunde Herdorf beweist, zu dem fast 5.000 Zuschauer gekommen waren.

In den 28 Pflichtspielen der Saison (Punkterunde, Endspiel und Aufstiegsrunde zur 2.Liga) gelangen 95 Tore. Davon gingen 38 auf das Konto von Siegfried Retzlaff, 30 Treffer steuerte Werner Ferfort bei. Beide VfB-Legenden sind inzwischen leider verstorben, aber geschwärmt wird von ihren Qualitäten noch immer. Das Bild unten zeigt die beiden Goalgetter in den 90er Jahren – übrigens bei einem Besuch bei den alten Gegnern in Plaidt.

Und dann kam es am Ostersamstag 1962 zum Showdown gegen den FC Plaidt (Foto unten). Im Neuwieder Stadion stand das Endspiel an. Auswechslungen gab es damals ebenso wenig wie Elfmeterschießen. Im Falle eines Unentschiedens nach 120 Minuten hätte es ein Wiederholungsspiel gegeben, für den Fall eines erneuten Remis war ein Losentscheid (!) per Münzwurf vorgesehen. Dazu kam es nicht, denn die VfB-Elf zeigte eine grandiose Leistung. Die Rhein-Zeitung stimmte ihre Leser mit nachstehender Vorschau auf das große Ereignis ein:

Wer wird Rheinland-Amateurmeister?

Endspiel am Karsamstag in Neuwied: Wissen gegen Plaidt

Im Finale um die Meisterschaft des Fußballverbandes Rheinland stehen sich an diesem Ostervorabend auf neutralem Platz im Neuwieder Stadion die beiden Staffelsieger der I. Amateurliga VfB Wissen (Staffel Ost) und der FC Plaídt (Staffel West) gegenüber. Der Sieger dieses Spiels nimmt als Rheinlandmeister an den Aufstiegsspielen der 2. Liga Südwest teil.

Schon seit Wochen steht der VfB Wissen zum zweiten Mal in Folge als überlegener Meister der Staffel Ost fest. Souverän und mit deutlichem Punktvorsprung wurde der Staffesieg erkämpft. Die begeisterten Zuschauer strömten in Scharen zu den Heimspielen der Blau-Weißen und sahen in den 24 Partien nicht weniger als 85 Tore ihrer spielstarken Mannschaft. Weit schwieriger hatte es der Endspielpartner FC Plaidt, gab es doch in der Staffel West nach dem Ausklang aller Spiele eine Punktegleichheit mit dem BSV Weißenthurm.

Im Entscheidungsspiel am letzten Sonntag in Andernach siegte der FC Plaidt in der Verlängerung mit 3:2. Eine starke Wissener Abordnung weilte in Andernach und nahm den Endspielpartner unter die Lupe.  Man kam zu der übereinstimmenden Meinung, daß der FC Plaidt von einem unbändigen Kampfgeist beseelt ist und dazu auch gute technische Fertigkeiten besitzt. Viel gelobt wurde das gefährliche Stürmerspiel dieser Mannschaft.

Die Endspielmannschaft vor dem Anpfiff: Von links Kapitän Hermann-Josef Schmidt, Wolfgang Schmidt, Reinhold Nauroth, Wilfried Wirths, Bruno Gerhards, Ludwig Latsch, Werner Ferfort, Georg Rautenstrauch, Harry Hauptmann, Klaus Profitlich, Siegfried Retzlaff.

Zweifellos steht der VfB vor einer ganz schweren Aufgabe. Der zweimalige Rheinland-Pokalmeister steht nun schon zum zweiten Male auch im Endspiel um die Rheinland-Meisterschaft. Die zwei Spiele von 1961 gegen Ehrang – insgesamt dauerte das Endspiel samt Wiederholung dreieinhalb Stunden und klang nach mit einem knappen 3:2-Erfolg nach Verlängerung für die Moselaner aus – sind noch in bester Erinnerung. Der VfB Wissen kann nach dem Genesen seines zuvor verletzten Stoppers Nauroth in Wunschbesetzung auftreten und wird das Karsamstagspiel (16 Uhr) voraussichtlich mit folgender Aufstellung bestreiten: Schmidt W., Schmidt H. Jo., Rautenstrauch, Profitlich, Nauroth, Wirths, Gerhards, Latsch, Ferfort, Retzlaff, Hauptmann.

Foto oben: Die erste Großchance zur Führung hatte Werner Ferfort, doch sein Handelfmeter nach 12 Minuten landete neben dem Tor. Die Westfälische Rundschau berichtete ausführlich vom Endspiel. Nachstehend der Spielbericht:

VfB Wissen ist Rheinland-Amateurmeister 1962

10 000 Zuschauer beim Neuwieder Finale – Verdienter Erfolg der Siegerländer

Mit dem Endspiel der Amateure hatte der Fußballverband Rheinland am Ostersamstag im NeuwiederStadion gleich einen mehrfachen Erfolg. Vorweg marschiert die Tatsache, daß das Finale mit ca. 10 000 Zuschauern absoluten Rheinland-Rekord erbrachte. Vor diesen erstrahlte der sattgrüne Rasen im prächtigen Glanz der Sonne. Was sich unter diesen Vorzeichen dann in dem farbenprächtigen 90-Minuten-Kampf tat, war nicht nur eines Endspiels würdig, sondern in jeder Hinsicht eine Werbung für den rheinischen Fußballsport. Ob der verdiente Sieger VfB Wissen oder der tapfere Verlierer FC Alemannia Plaidt, die beiden Partner lieferten recht eindrucksvoll den Beweis, daß man auch in einem wichtigen Treffen „fair” bis zur letzten Konsequenz spielen kann. Und wen man später fragte, alle sprach-en in dieser Richtung von einem seltenen – und sicherlich lange anhaltenden Ereignis.

Die Mannschaften kamen. Von allen Seiten rauschte ihnen der Beifall entgegen. Schiedsrichter Roth (Koblenz) stellte die Mannschaften wie folgt vor: VfB Wissen : Schmidt W., Schmidt H.J. – Rautenstrauch, Profitlich, Nauroth, Wirths, Gerhards, Latsch, Ferfort, Retzlaff, Hauptmann. FC Plaidt: Reichert, Schraven, Thewalt, Morsch, Degen, Nix, Börs, Müller, Retterath, Weiler, Hoffmann. Die Tore: 15. Minute Latsch 1:0, 44. Minute Gerhards 2:0, 70.Minute Retzlaff 3:0, 78. Minute Hauptmann 4:0, 82. Minute Weiler 4:1, 87. Minute Börs (Kopfball) 4:2.

Beide Mannschaften begannen etwas nervös. Plaidts vielgepriesener Sturm wartete mit den ersten Angriffen auf. Wissens Abwehr zeigte sich diesen vollauf gewachsen. Dann kamen die Wissener. Sie entfesselten eine Angriffswelle nach der anderen. Immerhin 20 Minuten dauerte der starke Drang auf das Plaidter Gehäuse an. Nach sicher verpassten Chancen roch es in der 12. Minute stark nach einer 1:0 Führung. Der Handelfmeter verfehlte sein Ziel. Ferfort schoß am linken Torpfosten vorbei. Die Plaidter atmen auf. Solche und ähnliche Szenen gab es in diesem Zeitraum mehrere.

Erst als Retzlaff nur die Querlatte getroffen hatte fiel Wissens 1:0-Führung. Der Halbrechte Latsch schoß aus vollem Lauf ein. Die FC-er vermochten es nicht zu fassen, konnten aber nicht verhindern, daß sie weiterhin stark unter Druck gesetzt wurden. Mit dem Ablauf des ersten Spieldrittels wurde das Spiel ausgeglichener. Plaidt versuchte, seine Sturmspitzen einzusetzen, -doch wurde zu unkonzentriert geschossen oder aber die Pässe kamen nicht an den Mann.

Für Hermann-Josef “Juppes” Schmidt (links) war die Saison 61/62 die letzte beim VfB. Georg Rautenstrauch war mit 24 Jahren der drittälteste Spieler (!) im ausgesprochen jungen Wissener Kader.

Schon frühzeitig zeichnete sich die verschiedenartige Spielanlage beider Mannschaften ab. Die einsatzstarken Plaidter wirkten in ihren Spielzügen zeitweise wuchtiger, spielten sehr beherzt und bevorzugten das halbhohe Spiel. Der VfB Wissen technisch ausgereifter, wirkte eleganter. Er spielte flüssiger, war schnell und demonstrierte ein schönes Flachpaßspiel. In der Abwehr gab es dennoch einige recht unsichere Momente.

Torschütze zum 4:0: Harry Hauptmann.

Gegen Ende der ersten Halbzeit kamen die Bewegungsspieler wieder stärker heraus. Die Doppelführung war nur eine Frage der Zeit. Sie fiel dann in der vorletzten Minute vor der Pause, durch den auf einmal in der Sturmmitte rochierenden Rechtsaußen Gerhards. Mit einer beruhigen 2:0 Führung gingen die Siegerländer in die Kabine. Gleich nach Wiederbeginn hatten die Plaidter ihre beste Zeit. Etwa zehn Minuten heizten sie die Wissener mächtig ein. Mehr als einige Ecken kam dabei jedoch nicht heraus. Dazu war einmal Torwart Schmidt schon geschlagen, als Rautenstrauch per Kopf auf der Torlinie rettete.

Um die 55. Spielminute machten sich die Blauen wieder frei. Souverän beherrschten sie das Mittelfeld. Die 70. Minute wurde dann von entscheidender Bedeutung. Gerhards konnte schießen, flankte jedoch zu Retzlaff, der sich nach vielem vorausgegangenem Pech die Chance zum 3:0 nicht entgehen ließ. Der FC Plaidt sah sich geschlagen, gab aber noch nicht auf. Selbst da resignierten die Männer aus der Vordereifel noch nicht, als Wissens Linksaußen Hauptmann, der übrigens in dem großen Kampf sein bisher bestes Spiel lieferte, in der 78. Spielminute auf 4:0 erhöhte. Und als dann die Wissener im sicheren Gefühl des Sieges die Zügel etwas locker ließen, kamen Weiler und der Rechtsaußen Börs (beides waren schöne Tore) zum 4:2. In der Schlußphase des Geschehens sah es noch nach einem fünften Wissener Erfolg aus.

Die Helden von 1962 bei einem Spiel im Jahr 1989. Ganz links Meistertrainer Erich Reith.

Rheinland-Amateurmeister 1961/62 wurde durchaus verdient der VfB Wissen. Die Mannschaft war ausgereifter und hatte abgesehen von einigen kurzen zeitbedingten Schwächen, keine absoiuten Versager. Sie bildete eine verschworene Gemeinschaft, was den Ausschlag für den großen Sieg gab. Kämpferisch ganz groß war der tapfere Verlierer. Hin und wieder kam die Elf auch mit sehr netten Spielzügen heraus, doch kam sie damit gegen die größten Wissener Abwehrspieler, Nauroth, Rautenstrauch und Wirths einfach nicht an. Sie scheiterte im ersten Anlauf genau wie der VfB Wissen im Vorjahr gegen Ehrang. VfB=Vorsitzender Dr. Bonnertz bedankte sich für die vielen Glückwünsche.

Mit dem Titelgewinn qualifizierte sich der VfB für die Teilnahme an der Aufstiegsrunde zur 2.Liga Südwest – und auch dort blieb die Mannschaft von Trainer Erich Reith erfolgreich und setzte sich gegen die Konkurrenten von Phönix Bellheim und dem SV Fraulautern durch. Damit war im Jahr vor der Gründung der Bundesliga zum ersten und wohl auch letzten Mal der Sprung in die Zweitklassigkeit geschafft. Im “Kicker-Almanach” wurde die nun als “Vertragsspieler” geltenden Akteure des VfB-Kaders für die Zweitliga-Saison vorgestellt (s.o.).

Wiedersehen im Jahr 1996.

Die Erfolgsgeschichte ging auch in der 2.Liga weiter. Sechs der 18 Mannschaften sollten sich für die im Zuge der Bundesliga-Einführung neu geschaffene Regionalliga qualifizieren. Lange lag der VfB auf Platz 2 und 3, doch auch der nach einer schwächeren Phase gegen Ende erreichte 6.Platz schien zu reichen. Dann aber änderte der Verband kurz vor Saisonschluß die Qualifikations-Kriterien und entschied, dass die Teams auf  den Rängen 5 bis 8 noch einmal zu Ausscheidungsspielen anzutreten hätten. Welche Interessen auch immer hinter dieser faulen Nummer standen: Den VfB kostete sie den Aufstieg, denn der Hebel ließ sich in dieser unerwarteten Saisonverlängerung nicht mehr umlegen. So ging es zurück in die Rheinlandliga, in der unser Verein inzwischen fast vierzig Spielzeiten bestritten hat und seit Beginn dieser Saison endlich wieder vertreten ist.

2012 trafen sich neun Mitglieder des damaligen Teams zum 50.Jubiläum des großen Sieges von Neuwied. Leider sind inzwischen mit Wilfried Wirths, Werner Ferfort und Harry Hauptmann drei weitere Ehemalige verstorben.

-c- Fotos: Archive Harry Hauptmann (+), Klaus Profitlich, Henner Witte (+), Egon Schmidt (+).