VfB Retro IV: Neubeginn 1945  – erst mit Hindernissen, dann erfolgreich

Mal wieder Spielpause – mal wieder Zeit für einen Blick in die Chronik. Diesmal geht der Blick weit zurück in die Zeit unmittelbar nach dem Ende des 2.Weltkriegs. Anlass dieser Zeitreise ist eine Mail des passionierten Fußballstatistikers Tom Hardt, der uns die bislang im Archiv noch fehlende Abschlusstabelle der Saison 1945/1946 zur Verfügung stellte. Das Foto oben zeigt die VfB-Fußballer nach dem Neubeginn, aufgenommen wurde das Bild am Wehr in Frankenthal.

Das Luftbild vom Frühjahr 1945 zeigt die Bombentrichter bei den Zwangsarbeiter-Baracken, im Frankenthal und an der Heubrücke. Der Sportplatz blieb verschont.

Mit der Kapitulation am 8.Mai 1945 war nicht nur für Deutschland, sondern auch für den VfB die Stunde Null gekommen. Der Verein hatte faktisch aufgehört zu existieren, organisierter Sportbetrieb war verboten. Wissen wurde der französischen Besatzungszone zugeschlagen und so von den alten Verbindungen in den Siegkreis, ins bergische Land und nach Südwestfalen endgültig getrennt. Angesichts der Gesamtsituation, insbesondere der schwierigen Ernährungs- und Verkehrslage, ist es aus heutiger Sicht schon erstaunlich, wie schnell unter den Menschen damals wieder der Drang nach sportlicher Betätigung entstand.

Männer der ersten Stunde: Spielrtrainer Paul Scharenberg (links) und Hans-Joachim Witte

Da der bisherige VfB-Vorstand, zum Teil gefallen oder in der Kriegsgefangenschaft, als Ansprechpartner ausfiel, wandten sich einige Mitglieder an Kaplan Fey. Erklärtes Ziel war es, möglichst bald ein Fußballspiel austragen zu können. Der Gottesmann hatte dabei zwei wichtige Vorteile: Erstens besass er gute Kontakte zu den Militärstellen, zweitens befand sich der einzig unversehrt gebliebene Lederball in seinem Besitz. Es gelang Kaplan Fey in einem Gespräch mit der Besatzungsbehörde tatsächlich, recht schnell eine Spielgenehmigung zu erwirken.

Walter Hasselbach (links) und Werner Blum waren Stammspieler der ersten VfB-Elf nach dem Krieg in der Saison 1945-46

So konnte schon im Spätsommer 1945, kaum vier Monate nach der Kapitulation, auf dem damaligen Sportplatz in Nisterbrück das erste VfB-Freundschaftsspiel nach dem 2.Weltkrieg angepfiffen werden. Gegner war der Ortsrivale SV Oettershagen. Doch auch auf dem Spielfeld war der Krieg noch gegenwärtig, denn auf Wissener Seite wirkten mit A. Jäger, H.Kreit und H.Rick gleich drei Sportler mit Amputationen mit. Der Anfang war also schnell gemacht, und bis Ende 1945 kam es sporadisch zu einigen weiteren Begegnungen.

Das Hochwasser war ein ständiger Begleiter in der Frankenthal-Kampfbahn

Mit Verfügung Nr.25 der französischen Militärregierung vom 12.Dezember 1945 durfte der VfB Wissen wie alle Sportvereine seine Tätigkeit auch offiziell wieder aufnehmen und nach entsprechendem Antrag über sein Gelände und die Sportgeräte verfügen. Dabei hatte der Verein Glück, weder Fechter noch Ringer oder Schützen in den eigenen Reihen zu haben, denn deren Sportarten waren wie Judo oder Boxen zunächst strikt untersagt. Dann begann am 18.Februar 1946 mit der ersten Jahreshauptversammlung das offizielle Vereinsleben wieder. Und auch der Liga-Spielbetrieb wurde schon kurz darauf wieder aufgenommen, sodass es zu einer (wenn auch kurzen) Punktspielrunde kam, die im Juli 1946 für den VfB sehr erfolgreich endete.

Blick in den Siegbogen im Frankenthal vom Heister aus

Eines von vielen Problemen des Wiederbeginns stellte der Sportplatz dar. Zwar war die Frankenthal-Kampfbahn (oben auf einem Bild von 1960) wundersamer Weise trotz der Nähe zum Walzwerk, zur Landstraße nach Betzdorf und zu den Eisenbahnschienen von Bombentreffern weitgehend verschont geblieben, durfte nun aber wegen der Seuchengefahr durch die nahe Sieg nicht benutzt werden. Das Gelände wurde anschließend komplett ins Trinkwassergewinnungsgebiet einbezogen. Also wichen die Fußballer dauerhaft nach Nisterbrück aus, bis auch der dortige Platz von der Besatzungsmacht vorübergehend beschlagnahmt wurde, um darauf ein provisorisches Sägewerk zu errichten. So wurde ein Spiel sogar auf einer notdürftig hergerichteten Wiese an der Nistermündung ausgetragen. Eine alte Chronik des längst nicht mehr existierenden SV Oettershagen beschreibt das hierfür genutzte Gelände als „ziemlich wellig“. 1946 war dann der Platz im Frankenthal endlich wieder freigegeben und der Wiederaufnahme des Punktspielbetriebes stand theoretisch nichts mehr im Weg.

Tor für den VfB aus einem Spiel im Jahr 1946 – der Fachmann erkennt die nicht ganz regelkonforme Befestigung des Netzes.

Praktisch sah das allerdings ganz anders aus: Zur Bestreitung von Auswärtsspielen zeigte sich manche Hürde, denn für den motorisierten Transport standen oft nur offene LKW mit Holzvergasermotor zur Verfügung. So bestand die Spielvorbereitung der Aktiven manchmal nicht aus Training oder taktischen Besprechungen, sondern im Beschaffen des käuflich nicht zu erwerbenden Tankholzes. Außerdem musste für jede der Fahrten eine neue Genehmigung der Militärregierung eingeholt werden. Man kann sich vorstellen, wie abenteuerlich manche der Auswärtstouren gewesen sein müssen. Dabei konnte es nach den damaligen Spielberichten passieren, dass eine Partie wegen „Balldefekt“ ihr vorzeitiges Ende fand. Auch Spielabsagen wegen ausbleibender Reiseerlaubnis („Fahrbefehl“) waren zu vermelden.

Da die Überwindung größerer Distanzen durch die zerstörte Verkehrsinfrastruktur und den Treibstoffmangel schwer bis unmöglich war, wurden regional stark begrenzte, kleine Ligen gebildet. So spielte auch die Bezirksklasse Westerwald in drei Staffeln zu je 6 bis 7 Mannschaften. Nach nur 12 Spieltagen und einem gegen den punkgleichen SV Güllesheim 6:1 gewonnenen Entscheidungsspiel in Hamm stand der Staffelsieg fest. Auch wenn durch eine 0:2-Niederlage gegen den anderen Staffelsieger Sportfreunde Herdorf  die Endrunde um die Rheinlandmeisterschaft verpasst wurde, bescherte das gute Abschneiden in der Premierensaison Spielertrainer Paul Scharenberg und seinen Teamkollegen immerhin den Aufstieg in die 1946 neu gegründete, in fünf Staffeln spielende Verbandsliga (s.u.).