VfB Retro: Vor 38 Jahren kam Borussia Mönchengladbach ins Wissener Stadion

Da aktuelles Fußballgeschehen schon seit über vier Wochen fehlt, zeigen alle einschlägigen Sender derzeit große Spiele vergangener Jahrzehnte. Diesem Trend wollen wir uns nicht entziehen und erinnern heute in Text und Bild an eine der wichtigsten Begegnungen der Vereinsgeschichte. Dreimal erreichte der VfB Wissen den DFB-Pokal, aber nur einmal gab es dabei das von jedem Amateurverein herbeigesehnte Duell mit einem Bundesligisten: Am 28.August 1982 gastierte Borussia Mönchengladbach an der Sieg.

Foto oben: Hinweisschild am Ortseingang

Der VfB hatte sich durch das Erreichen des Endspiels im Rheinlandpokal qualifiziert, in der dieser Saison kamen beide Finalisten in den DFB-Pokal. Auf dem Weg des von Otto Jaworski trainierten Rheinlandliga-Teams ins Finale gab es folgende Spiele:

3.Runde: SV Güllesheim (Landesliga) – VfB Wissen 1:5 (1:2)

4.Runde: VfB Wissen – Sportfreunde Daaden (Landesliga) 1:1 (1:0, 1:1) n.V., 4:3 im Elfmeterschiessen

Achtelfinale: BSV Weißenthurm (Verbandsliga) – VfB Wissen 2:4 (0:1)

Viertelfinale: VfB Wissen – TuS Koblenz (Verbandsliga) 4:3 (1:2, 3:3) n.V.

Halbfinale: VfB Wissen – Spvgg Wirges (Oberliga) 4:1 (2:1)

Finale: VfB Wissen – Eintracht Trier (Oberliga) 2:2 (0:2, 2:2), 0:3 im Elfmeterschiessen

Foto oben: Andrang an der Kasse. Wer genau hinschaut, erkennt Uwe Mertens als Karten-Abreißer

Auch wenn der dritte Rheinland-Pokalsieg bei der fünften und bisher letzten Finalteilnahme nicht gelang, durfte man am 2. Juli 1982 gebannt auf die Auslosung der ersten Hauptrunde im DFB-Pokal blicken. Und der erhoffte „dicke Fisch“ ging mit Borussia Mönchengladbach an die Angel. Wir zitieren nachstehend aus den Berichten der Siegener Zeitung, die damals wie heute gemeinsam mit der Rhein-Zeitung den sportlichen Weg unseres Clubs begleitete (und zwar weitgehend ungekürzt, schließlich hat man ja jetzt Zeit zum Lesen):

Foto: Frank Mill (später bei Borussia Dortmund aktiv) beim Aufwärmen

Vorschau (Text: Karl-Heinz Hof, Siegener Zeitung, 27.8.1982)

1.DFB-Pokal-Hauptrunde: Der VfB Wissen will kein Kanonenfutter sein

In der 8.500 Einwohner zählenden Stadt Wissen und praktisch im gesamten Kreis Altenkirchen grassiert das Fußballfieber, seit Anfang Juli bei der Auslosung der 1.DFB-Pokal-Hauptrunde der Verbandsligist VfB Wissen mit der Zulosung von Borussia Mönchengladbach einen Volltreffer landete. Morgen Nachmittag ist es nun soweit. Trainer Jupp Heynckes und seine Gladbacher „Fohlen rücken ins Dr.Grosse-Siegstadion an, wo die Elite-Kicker vom Bökelberg freilich als haushohe Favoriten erwartet werden.

Dennoch zeigt sich zeigt sich der Fußballabteilungsleiter des VfB, Bankkaufmann Rolf Brückner, ausgesprochen mutig: „Wir werden uns nicht verstecken und nicht ausschließlich versuchen, Tore zu verhindern. Wir möchten auch selbst den einen oder anderen Treffer erzielen. Indes formuliert VfB-Trainer Otto Jaworski  (41), seit Anfang diesen in Wissen im Traineramt, sein Nahziel so: „Wir wollen kein Kanonenfutter sein, sondern einigermaßen gut aussehen und dabei unsere Möglichkeiten ausschöpfen. Jaworski,  A-Schein-Inhaber und hauptberuflich in Neuwied an einer Sonderschule tätig, weiß schon um den gewaltigen Leistungsunterschied zwischen einer ausgefuchsten Profitruppe und biedere Amateurspielern.

Foto oben: Das VfB-Team beim Einlauf. Von links Paul Alhäuser, Axel Quast, Michael Ferfort, Günter Borr, Wofgang Kohl (verdeckt), Friedel Mann, Klaus Schäfer, Hubert Hoffmann (rechts neben ihm sieht man den Gladbacher Armin Veh), Peter Hüsch. Nicht im Bild Wolfgang Brenner und Erhard Winterkorn

Über 3.500 Karten im Vorverkauf abgesetzt

Insgeheim hatte man sich gewünscht, die Gladbacher Borussen morgen als Tabellenführer der Bundesliga begrüßen zu dürfen. Doch diesen Wunschtraum hat  Mittwochabend  der deutsche Fußball-Rekordmeister 1.FC Nürnberg mit einem 2:1-Überraschungssieg in Gladbach zerstört. Doch auch so wird es einen „großen Bahnhof“  geben. Die Wissener Vereinsführung läßt sich zwar vernehmen, dass sie nur mit 6000 Besuchern rechne, aber es kann durchaus ein volles Haus geben. Das wären dann zwischen rund 10.000 Zuschauer.

Keine utopische Erwartung, wenn man hört, dass mehr als 3500 Karten bereits im Vorverkauf abgesetzt worden sind. Sollten tatsächlich 10.000 Zuschauer  die Stadiontore passieren, dann würde der VfB Wissen mit rund 50.000 Mark Nettoeinnahmen das beste Geschäft in seiner langjährigen Vereinsgeschichte machen. Den VfBern wäre es zu gönnen, nachdem sie vor nicht allzu langer Zeit ihr prächtiges Stadion finanzieller Schwierigkeiten wegen an die Gemeinde Wissen verkaufen mussten.

Foto oben: Wolfgang Kohl, Friedel Mann, Klaus Schäfer und Hubert Hoffmann. Mit Wolfgang und Klaus sind zwei Spieler dieses Quartetts leider schon früh verstorben

Fernsehen stark bei den „Kleinen“

Übrigens hat sich auch das Fernsehen für den Pokalhit „David gegen Goliath“ angesagt, neben dem Regionalfernsehen auch das ZDF, wobei aus Mainz wieder einmal dubiose Forderungen der öffentlich-rechtlichen Anstalt laut wurden: Den Wissenern wird abverlangt, daß sie gefälligst die Trikots mit dem Werbeschriftzug ihres Sponsors abzulegen haben, derweil auf der anderen Seite die Gladbacher ihre Datsun-Reklame per Brust vorführen dürfen: „Wir müssen uns also für rund tausend Mark einen Satz neutraler Trikots kaufen, wenn wir unseren Spielern das Auftreten auf der Mattscheibe nicht verwehren wollen“ macht Fußballobmann Brückner keinen Hehl aus seiner Verstimmung über die mit doppelter Brille auftretenden  „Mainzelmännchen“. Dabei bekommt der VfB Wissen für die Fernseh-Übertragung keinen Pfennig.

Foto oben: Lothar Matthäus, den es zwei Jahre später nach dem verlorenen Pokalfinale von Mönchengladbach zu den Bayern zog

Auch ansonsten gab es im Vorfeld des ungleichen Pokalkampfes interessante Beobachtungen: So hat Borussia Mönchengladbach nach der Pokalauslosung die Wissener nicht weniger als vier Mal beobachtet. Dreimal reiste Co-Trainer Wolf Werner zu Spielen der VfBer an und machte sich eifrig Notizen. Einmal gar, zum kürzlichen Rheinland-Pokalfinale gegen Eintracht Trier, gab sich Borussia-Cheftrainer Jupp Heynckes persönlich die Ehre, an den Ufern der Sieg den morgigen Pokalgegner zu studieren.

Beim VfB Wissen verzichtet man darauf, etwa am letzten Samstag nach Schalke zu reisen, um dort die Gladbacher zum Bundesliga-Saisonauftakt siegen zu sehen. „Im Gegensatz zu vielen unserer Fans versuchen wir seitens des Vereins, mit den Beinen auf der Erde zu bleiben, und das wollen wir auch morgen Nachmittag“ sagt Trainer Otto Jaworski, der sich mit seiner jungen, begeisterungsfähigen Mannschaft ein interessantes Spiel wünscht.

Foto oben: Wolfgang Kohl und der im vergangenen Jahr verstorbene Wolfram Wuttke, der es nicht lange in Gladbach aushielt und seine Wanderschaft über Schalke und den HSV nach Kaiserslautern fortsetzte

Die Leistungsträger in der Mannschaft des VfB Wissen sind Torwart Wolfgang Brenner, Libero Paul Alhäuser, die Außenverteidiger Wolfgang Kohl und Erhard Winterkorn. Und sie werden wohl auch jene Spieler sein, sie gegen Mönchengladbach die größte Last zu tragen haben. Im Mittelfeld gilt Günter Borr als Spielmacher, während im Angriff Friedel Man

n der stärkste Tordrang nachgesagt wird. Freilich sind die Namen der Gladbacher ungleich bekannter. Man denke nur an Wilfried Hannes, Lothar Matthäus, Wolfram Wuttke oder Frank Mill.

Foto oben: Paul Alhäuser war schon seit 1976 für den VfB am Ball und bestritt 1982-83 seine letzte Saison als Aktiver, ehe er im Dezember 1982 das Traineramt übernahm und mit seinem Team fünf sehr erfolgreiche Jahre in der Verbandsliga hatte.

Spielbericht (Text: Karl-Heinz Hof, Siegener Zeitung, 30.8.1982)

Wissens Torwart Wolfgang Brenner in aller Munde – Lob für den Verlierer

Das waren nicht alltägliche Töne. die nach dem Abpfiff des DFB-Pokal-Hauptrundenspieles in Wissen die Trainer beider Clubs anschlugen – sowohl Wissens Coach Otto Jaworski als auch Gladbachs Trainer Jupp Heynckes verteilten übereinstimmend Komplimente an die Adresse des Verlierers und lobten in höchsten Tönen der 30-jährigen Wolfgang Brenner – ein Mann mit scheinbar tausend Händen, bei diesem Pokalfight in aller Munde. Otto Jaworski meinte zurecht: „Wir haben uns sehr gut aus der Affäre gezogen. Aus der Mannschaft möchte ich niemanden hervorheben. Die Jungs haben alle ganz hervorragend gespielt“.

Foto oben: Friedel Mann, der es in dieser Saison (seiner letzten beim VfB) auf 26 Treffer brachte und Borussia-Keeper Paul Hesselbach

Der VfB Wissen insgesamt verdiente sich in zweierlei Hinsicht Anerkennung: für seine enormen kämpferischen Qualitäten und seine diszipliniert befolgte taktische Marschroute. So wurde nichts aus der allgemein erwarteten Show und einem Kantersieg der Gladbacher, die einen derart gut organisierten Widerstand bei der viertklassigen Verbandsliga-Truppe mit Sicherheit nicht einkalkuliert hatten.

Foto oben: Klaus Schäfer (Nr.10) mit dem starken linken Fuß am Ball, Kapitän Erhard Winterkorn (Nr.5) verfolgt die Szene

Jupp Heynckes sagte dann auch hinterher unverblümt: „Da haben sich wohl etliche meiner Spieler in der Annahme geirrt, hier mit angezogener Handbremse weiterkommen zu können. Mein Respekt gilt dem VfB Wissen, der mit viel Begeisterung und  Elan aufgetrumpft und es uns schwer gemacht hat.“

Foto oben: Ärger bei Peter Hüsch nach einem Foul von Lothar Matthäus an Paul Alhäuser

Zwar ließ Hans-Günter Bruns bereits in der 5. Minute mit einem Mordsschuß an die Querstange die Wissener Fans zittern, aber in der 11. Minute hätte Offensiv-Verteidiger Wolfgang Kohl bei einem gefährlichen Konter die Gastgeber ebenso leicht in Fiihrung bringen können. Genau nach 20 Minuten fiel dann Gladbachs einziger Treffer in der 1. Halbzeit durch den in der ersten halben Stunde herausragenden Pinkall, dessen tückischer Aufsetzer Brenner überraschte.

Foto oben: Friedel Mann, Wilfried Hannes und Michael Ferfort. Hannes kehrte 1994 als Trainer von Alemannia Aachen ins Dr.Grosse-Siegstadion zurück

ln der zweiten Hälfte gab es lediglich noch ein weiteres herausgespieltes Tor durch den Es-Schalker Wolfram Wuttke (72. Min.) und dazu zwei Elfmeter-Treffer von Libero Hannes (49. und 87. Min.). Beim ersten Strafstoß hatte VfB-Vorstopper Hüsch Gladbachs Nationalspieler Matthäus bei einem herrlichen Solo über 50 in im letzten Moment nur durch ein Foul am Torschuss hindern können, indessen Strafstoß Nummer 2 auf ein Handspiel von Alhäuser zurückging.

Fotos oben: Der erste Stafstoß von Winfried Hannes zum 0:2

Auch der 0:4-Endstand kurz vor dem Ende fiel vom Elfmeterpunkt aus

Es war das Verdienst der ohne Scheu vor „großen Tieren“ auftretenden Wissener, daß trotz der eindeutig besseren technischen Fähigkeiten der Gladbacher die Begegnung bis in die Schlussphase hinein sportlich interessant blieb. Dabei hatte Borussia alle Akteure aufgeboten, die in den ersten beiden Bundesligaspielen dieser Saison zum Einsatz gekommen waren. Dazu erhielt Nationalstürmer Frank Mill eine Chance. die ihm allerdings Hüsch durch eine konsequente Manndeckung weitgehend vermieste. Auffallend, daß sich die Profis von den Amateuren gleich ein Dutzendmal in die Abseitsfalle locken ließen.

Foto oben: Jupp Heynckes wechselt in der Schlußphase Markus Mohren ein.

VfB Wissen: Wolfgang Brenner, Wolfgang Kohl, Hans-Peter Hüsch, Paul Alhäuser, Erhard Winterkorn,

Michael Ferfort, Klaus Schäfer, Günter Borr, Axel Quast (ab 62. Min. Jörg Nast), Friedel Mann, Hubert Hoffmann (ab 46. Min. Burkhard Erdmann).

Borussia Mönchengladbach: Paul Hesselbach, Armin Veh (ab 46. Min. Uli Borowka), Frank Schäffer, Wilfried Hannes, Norbert Ringels; Lothar Matthäus, Hans-Günter Bruns, Uwe Rahn, Wolfram Wuttke (ab 72. Min. Markus Mohren), Frank Mill, Kurt Pinkall.

Foto oben: Der spätere Nationalspieler Uwe Rahn, Peter Hüsch, Wolfgang Kohl, Michael Ferfort und Frank Mill

Schiedsrichter: Eli (Idar-Oberstein) zog in dem fairen Spiel nur einmal eine Karte: in der 44. Minute zeigte er dem Wissener Quast wegen Handspiels „Gelb“.

Tore: 0:1 Pinkall (20. Min), 0:2 Hannes (Foulelfmeter, 49.Min.), 0:3 Wuttke (72. Min.), 0:4 Hannes (Handelfmeter, 87.Min.) – Ecken: 1. Halbzeit 5:4 für Mönchengladbach; 2. Halbzeit 3:1 für Wissen. – Zuschauer: 8.500.

Foto oben: Hans-Günter Bruns, Frank Mill (Nr.9), Wolfgang Kohl und Peter Hüsch

Noch drei weitere Male erreichte der VfB Wissen das Halbfinale im Rheinlandpokal, zuletzt vor ziemlich genau zwei Jahren gegen TuS Koblenz. Zur erneuten Qualifikation für den DFB-Pokal reichte es nicht mehr. Wäre schön, wenn unser Team bald noch einmal an die früheren Pokalerfolge anknüpfen könnte – wobei die Chancen durch die Teilnahme etlicher semi-professioneller Clubs im Rheinlandpokal sicher nicht gestiegen sind.

Foto oben: Zünftigen Ärger mit einigen Borussen-Fans gab es natürlich auch. Hubert Schwan (als ehemaliger VfB-Leichtathlet topfit) hat mit seinem Kollegen alle(s) im Griff.

Foto oben: Auch Lothar Matthäus zog es noch einmal nach Wissen zurück, als er 1992 mit dem FC Bayern zu einem Freundschaftsspiel im Stadion gastierte und mit seinem Club 7.900 Zuschauer anlockte

(c) Fotos: Archiv Klaus Schäfer, Elmar Trapp, Peter Schwan