
In der vergangenen Woche verstarb wenige Monate vor seinem 99.Geburtstag mit Eugen Anetsmann ein langjähriges Mitglied unseres VfB, für den der Begriff „Vereins-Ikone“ die denkbar passende Beschreibung ist. Die Wertschätzung, die Eugen nicht nur im VfB, sondern auch in den anderen Vereinen genoss, in denen er seine Spuren hinterließ, ist kaum zu übertreffen. Es dürfte schwer sein, einen lieberen Menschen zu treffen. Immer freundlich, immer mit einem Lächeln im Gesicht nahm er jeden für sich ein. Sein Verlust schmerzt.
Ehrung anläßlich des 60.Mitgliedsjubiläums auf der Jahreshauptversammlung im März 2015.
Als Eugen Anetsmann vor fast 100 Jahren das Licht der Welt erblickte, war ihm nicht in die Wiege gelegt, später einmal ein Urgestein des VfB Wissen zu werden, denn diese Wiege stand nicht an der Sieg, sondern an der Donau. Geboren wurde er im September 1922 in der Nähe von Ingolstadt in einer kinderreichen Familie. Im oberbayrischen Eichstätt im Altmühltal absolvierte er in den späten 30er Jahren eine Metzgerlehre im Betrieb von Ludwig Regnet.
Umgeben von der Fußballjugend (hier 2013 bei einer Ehrung im Kulturwerk) – Eugen in seinem Element.
Bevor er an die Sieg kam, gab es aber noch einige Umwege, und der erste führte Eugen unfreiwillig als Soldat der Deutschen Wehrmacht nach Jugoslawien und Griechenland. Als Gebirgsjäger kam er später sogar bis in die Berge des Kaukasus. Zwar entging er am Ende des Krieges, dass er am Alpenrand erlebte, einer längeren Kriegsgefangenschaft. Er hatte aber durch einen Granatsplitter auf einem Auge fast die komplette Sehkraft eingebüßt – was seine späteren Erfolge in vielen verschiedenen Sportarten noch erstaunlicher macht.
In der zweiten Hälfte der 40er Jahre verschlug es Eugen ins Allgäu, wo er mit Mitte Zwanzig bereits als Spielertrainer für den SV Wertach aktiv war. Anfang der 50er Jahre zog es seinen ehemaligen Lehrherren Ludwig Regnet mit der Familie ins Siegerland, zunächst nach Niederfischbach. Eugen Anetsmann, inzwischen Metzgermeister, kam mit. Als dann Ludwig Regnet das Hotel Bürgergesellschaft (Foto oben) in der Rathausstraße erwarb, war die Verbindung nach Wissen hergestellt. Eugen fand eine berufliche Heimat bei einer Großmetzgerei in Gießen und später als Ladenmeister bei der Firma Hermes in Hamm. Und auch das Engagement beim VfB lag nahe, denn schließlich war die Bürgergesellschaft damals das Vereinslokal.
Die Meistermannschaft in der Saison 1956-57 mit ihrem Kapitän Eugen Anetsmann (vordere Reihe, 2. von links)
Am 1.Januar 1955 trat Eugen, der zunächst auch im Haus der Bürgergesellschaft wohnte, dem VfB Wissen bei und blieb dessen treues Mitglied für über 66 Jahre. Sofort wurde er Stammspieler der 1.Mannschaft, die damals in der 2.Amateurliga an den Start ging. Mit seiner ausgeprägten Technik und seiner Schnelligkeit, aber auch als Vorbild und Integrationsfigur verstärkte er das Team erheblich. In der Saison 1956 / 57 gelang nach zwei knapp verpassten Aufstiegen die Meisterschaft und die Rückkehr in die Rheinlandliga. Eugen nahm als Mannschaftskapitän den Pokal in Empfang (Foto oben).
Die Buchhaltung von Norbert Groß beweist: Ohne Eugen Anetzmann ging nichts.
Sein im vergangenen Jahr verstorbener Mannschaftskollege Norbert Groß führte damals genau Buch, sodass die Fakten erhalten sind: Eugen Anetsmann war im gesetzten Fußballalter von 34 nicht nur in allen Saisonspielen dabei, sondern mit 19 Treffern auch der erfolgreichste Torschütze. Danach war eigentlich der Wechsel in die 2.Mannschaft geplant, doch Trainer Stephan Langen wollte auch in der Rheinlandliga nicht auf Eugen verzichten, sodass er auch in den beiden Folgejahren noch auf zusammen fast 40 Einsätze und 20 Tore kam. An eine Verwarnung oder gar einen Platzverweis kann sich niemand seiner damaligen Mannschaftkameraden erinnern, Eugens Fairness war bei allem Ehrgeiz herausragend.
Meister der B-Klasse 1959: VfB Wissen II mit Spielertrainer Eugen Anetsmann (stehend 4. von links)
Als es dann endgültig als Spielertrainer zur Reserve ging, ließ auch hier der erste Titelgewinn nicht lange auf sich warten, denn 1959 stieg die Elf in die A-Klasse auf. Parallel dazu ließ Eugen auch kaum ein Spiel der Alten Herren aus, für die er erst 1993 im Alter von knapp 72 Jahren sein letztes Spiel bestritt – natürlich als Mannschaftskapitän.
Die Alten Herren des VfB vor dem Spiel gegen die Uwe-Seeler-Mannschaft im Oktober 1978.
Über 4.000 Zuschauer kamen zum Spiel gegen die Seeler-Elf, die sich auch dank fünf Overath-Toren mit 10:1 durchsetzte. Eugen Anetsmann ganz links im Bild.
Seine sportlichen Aktivitäten beschränkten sich aber nicht nur auf den VfB und schon gar nicht auf den Fußball. Nach seiner Zeit als Spielertrainer der Sportfreunde Schönstein war Eugen auch im Tischtennis, als Schwimmer, als Leichtathlet, als Tennisspieler und bis ins zehnte Lebensjahrzehnt bei der Reha-Sportgemeinschaft als Faustballer aktiv. Seine Fitness schien sich allen biologischen Gesetzen zu entziehen, und auch mit 90 ging er locker als 70-Jähriger durch.
Als Platzkassierer im September 1985 mit Egon Schmidt (links).
Als sich Reinhold Bender, Erwin Schneider, Werner Ferfort und Eugen Anetsmann im Herbst 2001 als Platzkassierer verabschiedeten, hatten sie es in diesem nicht immer einfachen Amt auf zusammen 138 Jahre (!) gebracht.
Dem VfB Wissen blieb er ohne jede Unterbrechung in guten wie in schlechten Zeiten stets verbunden. Ob als Jugendtrainer, genau 31 Jahre lang als Platzkassierer, als Grillmeister bei Vereinsfeiern oder als ehrenamtlicher Helfer bei vielen Anlässen – wenn eine helfende Hand gebraucht wurde, war Eugen ohne viel Aufhebens da. Und natürlich verpasste er bis vor wenigen Jahren fast kein Heimspiel seines VfB. Dabei waren ihm die liebsten Wochenenden die, an denen er die 1.Mannschaft, die 2.Mannschaft und die Jugend hintereinander sehen konnte.
Mit Werner Ferfort (links) als Stadionbesucher, Mai 2013.
Der Tod seines besten Freundes Werner Ferfort, selbst ein VfB-Held, traf Eugen Anfang 2018 hart. Die beiden waren seit Jahrzehnten gemeinsam ins Stadion gekommen und hatten die Spiele meist nebeneinander sitzend verfolgt. Nun wurden die Besuche Eugens im Stadion seltener, ehe in der jüngsten Vergangenheit das Alter immer mehr Tribut forderte. Dennoch blieb er hellwach und am sportlichen Geschehen im VfB immer interessiert.
Eugen als Mannschaftskapitän der Alten Herren bei seinem letzten Spiel im Sommer 1993 mit knapp 71 Jahren.
Auch die „Hundert“ hätte er gerne vollendet, wie er seinem guten Freund Fritz Mayinger bei dessen letztem Besuch vor einigen Wochen bestätigte. Es hat nicht sollen sein. In der vergangenen Woche ist Eugen von uns gegangen. Sein Tod sorgt sicher bei vielen VfBern und über unseren Club hinaus für mehr als eine Träne im Knopfloch. Wir sind sehr traurig, ihn nun verloren zu haben. Jeder Verein, der einen treuen Freund und ein solches Vorbild wie Eugen in seinen Reihen hat, kann glücklich sein.
Im Kreise der alten Mannschaftskameraden bei einer Feier zu Beginn der 2000er Jahre.
Unser Dank gilt einem wunderbaren Menschen, unser Mitgefühl seiner Witwe Monika. Mach’s gut, Eugen – und schöne Grüße an Ferfi.